Die Seele... by brigeart

Nachdenklich schaut ihr Freund in die Runde. Er kratzt sich das Kinn und sieht Erika lange an. "Du hast die Wohnung wirklich toll eingerichtet. Du hast einen guten Geschmack und man erkennt deine Persönlichkeit!"

"Aber...", Erika lächelt ihn erwartungsvoll an.

"Aber es fehlt noch etwas!" Er konzentriert sich. "Es fehlt die Seele!"

Erika sieht ihren Freund überrascht an.

Nachher, als sie allein ist, denkt sie nochmal über seine Worte nach.

Die Seele fehlt.

Was kann das nur sein!

Wochen später trinkt sie in einem Antik-Café einen Cappuccino und ihr Blick fällt auf eine alte Wanduhr. Sie erinnert sich sofort an die alte Uhr, die in der Küche ihres Großvaters hing. Sie ist fast identisch.

Sie nimmt das gute Stück ins Visier und lässt sich die Details vom Verkäufer erklären. Die Uhr ist über 100 Jahre alt und scheint keine größeren Schäden zu haben. Der Preis stimmt auch.

Erika überlegt nicht lange und kauft die Uhr.

Der Verkäufer gibt ihr mit auf dem Weg, dass er keine Garantie für das Laufwerk übernehme. Diese Uhren müssten oftmals von einem Uhrmachermeister generalüberholt werden.

Erika lässt sich nicht beirren. Sie hat sich Hals über Kopf in diese Uhr verguckt und hat schon einen neuen "Hängeort" vor Augen.

Stolz fährt sie nach Hause.

Als am Abend die Uhr ihren Platz eingenommen hat und sie aufgezogen wird, erfüllt ihr Ticken den Raum. Es fühlt sich an wie ein Herzschlag. Die Wohnung lebt. 

Auf einmal schlägt sie zur vollen Stunde. Ihr Ton breitet sich im Raum aus, wird getragen durch die Höhe des Raumes und ebbt langsam ab...

Sie hat richtig in der Anzahl geschlagen. Ihr Ton ist weich und fest zugleich. Später stellt Erika fest, dass sie "sekundengenau" läuft.

Die vorherigen Besitzer müssen sie in einem tadellosen Zustand abgegeben haben.

Was für eine Freude! Erika kann ihr Glück kaum fassen.

Nicht nur, dass die Uhr richtig tickt und einen wunderbaren Ton hat, sie zudem an ihren Opa erinnert, sie gibt der neuen Wohnung auch eine Seele.

Jedes Mal, wenn sie die Wohnung betritt und das sanfte Ticken hört, lächelt sie leicht und murmelt: "Moin, ich bin wieder da! Ich bin zu Hause!"

(c) G. Brinkmann 2/18

Euch einen wunderschönen Tag! Eure Greta

 


Kommentare: 17 (Diskussion geschlossen)
  • #1

    Dieter (Donnerstag, 15 Februar 2018 17:03)

    Liebe Greta!
    Sie schaffen es wirklich jede Woche, mich von Neuem zu begeistern! Chapeau!
    Sie haben eine Gabe, mit kurzen Geschichten eine dichte Atmosphäre zu zaubern, dass ich die Situation der Person Erika mit ihrer Wanduhr derart real vor Augen habe und mich zugleich wohlig "eingenommen" fühle. Sie entführen mich für 2 Minuten in eine andere Welt, aus der ich mit einem Lächeln heraustrete! Danke, Sie sind eine großartige Autorin!
    Liebe Grüße aus dem Allgäu

  • #2

    Karin (Donnerstag, 15 Februar 2018 17:22)

    Manchmal sind es Gegenstände, die ein wohliges Heimatgefühl geben oder auch Erbstücke!
    Mit diesen Stücken kann man an fremden Orten ankommen, weil sie ein Stück Leben und Identität vermitteln.
    Und all dies hast du mir mit deinem Impuls vermittelt. Ich werde mal wieder meine Erbstücke aus ihren Verstecken herausholen und sie wieder leben lassen!
    Danke, liebe Greta!
    Dir einen wundervollen Abend!

  • #3

    Swantje (Donnerstag, 15 Februar 2018 18:11)

    Als ich umgezogen bin, habe ich als erstes meinen Uraltteddy auf mein Bett gestellt. Und damit nicht nur meiner Wohnung Vertrautheit eingehaucht, sondern auch mir selbst ein heimeliges Gefühl gegeben.
    Ich verstehe sehr gut, was der Freund von Erika ausdrücken wollte.
    Man muss der Wohnung nicht nur die persönliche Note geben, sondern auch die Seele reinbringen.
    Das kann wachsen, aber man kann es wie bei Erika auch mit einem Gegenstand erreichen!
    Wunderschön geschrieben! Deine S.



  • #4

    Peter (Donnerstag, 15 Februar 2018 20:14)


    Und Du hast es wieder getan! ;-)))
    Schön, dass ich nochmals bei Dir reingeschaut habe.
    Wunderbare Geschichte! Ich werde dieses Wochenende mal wieder in einem Antiquitätengeschäft stöbern!
    Du inspirierst mich nicht nur, du unterhältst mich nicht nur ungemein, du bringst mich auch immer zum Lächeln.
    Ich danke dir von Herzen! Peter aus München

  • #5

    Greta (Donnerstag, 15 Februar 2018 20:18)

    Oft meint man, es sind Menschen, die einem Zuhause eine Seele geben.
    Kann sehr wohl sein!
    Aber bei mir ist es wirklich eine alte Uhr, mit der ich im neuen Zuhause angekommen bin!
    Unglaublich schön!

  • #6

    Gerhard (Donnerstag, 15 Februar 2018 22:07)

    Liebe Greta.
    Ein Gegenstand wird für dich oder hier für Erika ein wichtiger Baustein, um an einen neuen Ort anzukommen.
    Manchmal dauert es lange, dass ein neues Zuhause wirklich ein ZUHAUSE wird.
    Wie schön, wenn man wie in diesem Fall ein Hilfsmittel einsetzen kann, um sich wohler zu fühlen und auch die Erinnerung an an lieben Menschen aufrecht erhalten kann.
    Ich verstehe das sehr gut.
    Ich habe lange gebraucht, um anzukommen.
    Deine Geschichte ist ein schöner Impuls für mich.
    Hilft mir, weiterhin Fortschritte zu machen.
    Einen schönen Abend.
    Gruß aus Hannover

  • #7

    Elsa B. (Donnerstag, 15 Februar 2018 22:11)

    Die Geschichte von Erika ist überzeugend. Sie hat etwas gefunden, um dem neuen Zuhause noch mehr Leben einzuhauchen und um sich dann wohler zu fühlen.
    Es passt für mich... werde mich mal auf die Suche machen... oder mal bei mir in längst vergessenen Sachen nachschauen.
    Inspiriert mich gerade. DANKE :-)

  • #8

    Elmar (Donnerstag, 15 Februar 2018 22:35)

    Ich habe mal gelesen, dass man erst ankommen muss, um weitergehen zu können.
    Du, liebe Greta, bist angekommen und das letztendlich mit dem Ticken einer Uhr.
    Wunderschöne Geschichte.
    Hat mir gut gefallen.
    Ein schönes Wochenende.

  • #9

    Mellie (Donnerstag, 15 Februar 2018 22:57)

    Ist das nicht herrlich, wenn man seine Wohnung begrüßen mit den Worten...."Hallo. Ich bin wieder da."
    Das gefällt mir.
    Danke für diese Gute-Nacht-Geschichte.
    LGMellie

  • #10

    Franz (Freitag, 16 Februar 2018 00:46)

    Schöner Impuls, der Lust macht, wieder mal in alten Sachen zu stöbern.
    Wer weiß, welche Schätze auf einen warten und welche Erkenntnisse sich daraus ergeben.
    Merci. Gruß aus Thüringen

  • #11

    Ulrich (Freitag, 16 Februar 2018 07:40)

    Oh welche Zauber liegen in diesem Wort: Daheim.
    Emanuel Geibel
    Daran, liebe Greta, musste ich beim Lesen denken.
    Ich glaube, dass bei deiner Schilderung ein ZUHAUSE entstanden ist, bei dem man noch weitergehen kann...
    Ich bin daheim. Die Seele ist da und der Herzschlag im richtigen Takt.
    Sehr schön.
    Schönen Freitag

  • #12

    Dorothee (Freitag, 16 Februar 2018 10:46)

    Liebe Greta,
    wieder eine so wunderbare Geschichte,
    die ich schon mehrfach so oder so ähnlich empfunden habe.
    Sie löst Wärme und Freude aus.
    Manchmal ist es aber auch zum Nachdenken.
    Dir ein wunderschönes Wochenende und L G

  • #13

    Elke (Samstag, 17 Februar 2018 08:52)

    Das kann ich gut nachvollziehen - so geht es mir mit meiner "Großvateruhr". Dir ein schönes Wochenende.

  • #14

    Moka (Sonntag, 18 Februar 2018 09:19)

    Du hast dich wieder einmal selbst übertroffen, liebe Greta. Tausend Dank dafür. Habe deine Geschichte mit grossem Interesse gelesen.
    Wünsche dir einen wunderschönen und hoffentlich sonnigen Sonntag. Liebe Grüsse Moka

  • #15

    George (Sonntag, 18 Februar 2018 17:14)

    Was macht eine Wohnung zu einem Zuhause, zur Heimat? Möbel, Bilder, Dekoration können eine Wohnung besonders, ja einzigartig machen. Eine pochende und zur vollen Stunde schlagende Wanduhr kann eine Wohnung lebendig machen, in Verbindung mit Kindheitserinnerungen kommt die Seele hinein und es wird ein Zuhause.
    Danke, liebe Greta, dass du uns wieder einmal vor Augen führst, wie man mit doch einfachen Mitteln dem Leben etwas Sinnhaftes hinzufügen kann...!

  • #16

    George (Sonntag, 18 Februar 2018 17:20)

    "Des Bruders Uhr

    Du hast sie einst getragen;
    Zu deines Herzens Klang
    hat sie den Takt geschlagen.
    Nun feiert dein Herz schon lang.

    Oft hör' ich in schlaflosen Stunden
    Ihr trautes Gepoch in der Nacht,
    Dann weiß ich, daß treu mir verbunden
    Ganz nah deine Seele wacht."

    Jakob Boßhart
    (1862 - 1924), Schweizer Schriftsteller und Philologe

  • #17

    George (Sonntag, 18 Februar 2018 17:24)

    "Trautes Heim

    Ich liebe mein Häuschen am Waldesrand,
    und all die Menschen, die es begehen,
    hab es gestaltet mit fleißiger Hand,
    sinnvoll mit kleinen Extras versehen.

    Beim Frühstück kann ich der Sonne winken,
    höre vom Garten her Vogelgesang,
    kann meinen Kaffee genüßlich trinken,
    Mozart lauschen, bei jedem Arbeitsgang.

    Dann muß ich hinaus, in Gottes Natur,
    frische Luft stärkt das Herz und die Seele,
    gemütlich durchstreife ich Wald und Flur,
    singe ein Lied, laut, aus voller Kehle.

    Am Mittag bin ich dann wieder daheim,
    sitze allein auf meiner Terrasse,
    lese ein Buch, oder schreib einen Reim,
    fühle mich wohl, so abseits der Masse.

    Erst spät, wenn der Tag dem Ende sich neigt,
    nichts mehr im Glas ist, vom köstlichen Wein,
    und wenn die Uhr dann auf Mitternacht zeigt,
    lockt mich mein Bett, – in meinem trauten Heim."

    Horst Rehmann
    (*1943), deutscher Publizist, Maler, Schriftsteller und Kinderbuchautor